Zum Autor Prof. Dr. Klaus Wellershoff
Klaus Wellershoff (*1964), Prof. Dr. und Ex-Chef-Ökonom der UBS, ist seit 8 Jahren selbständiger Berater. Er hat sich vom «Vorzeige-Prognostiker» zum «zurückhaltenden Aufklärer» gewandelt oder vom Saulus zum Paulus geläutert. Mit diesem Fachbuch, das sich aber an eine breite Öffentlichkeit wendet, «möchte er für eine bescheidenere Ökonomie werben. Eine Ökonomie, die dann schweigt, wenn sie nichts zu sagen hat, die aber dann umso lauter auftritt, wenn sich die Diskussion um die wenigen Dinge dreht, bei denen sie tatsachlich wichtige und wertvolle Hinweise geben kann.»
Buchkritik und Zusammenfassung
Noch ein Buch mit Weisheiten eines Ex-Topmanagers? Oder hält er, was er verspricht? Und warum soll er jetzt glaubwürdiger sein als zuvor? Wellershoff ist jedenfalls zur Erkenntnis gelangt, dass «es in der Finanzindustrie eine ausgeprägte Vermengung von Wunschvorstellung und Realität gibt, welche heute eher die Wünsche und Träume der Anleger befriedigt denn passende Anlagelösungen vermittelt». Sie sei zur «Unterhaltungsindustrie verkommen», meint er abschätzig…
Wellershoff will quasi auf den Pfad der Tugend zurückführen und die empirischen Erkenntnisse nutzen, um sich auf die Zukunft vorzubereiten, statt sie spekulativ vorauszusagen. Gemäss Wellershoff sind zum Beispiel die Prognosen beim Wirtschaftswachstum in die nächsten 18-24 Monaten sehr fehlerhaft, währenddem sie für ein bis zwei vorlaufende Quartale relativ genau sind. Ein «Frühwarnradar» von sechs Monaten ist daher brauchbar – darüber hinaus seien die Prognosen wertlos, so Wellershoff.
Zur Inflation: Am Beispiel des Prognosepfades der letzten Jahre zeigt der Autor, dass selbst die SNB meist komplett daneben lag – sowohl im kurz- wie im langfristigen Bereich. Und wenn schon die SNB nicht dazu in der Lage ist, wie steht es dann um alle andern? Vorsichtig formuliert Wellershoff: «Die expansive Geldpolitik hat mit der Schaffung von Unmengen von Basisgeld das Potenzial für einen deutlichen Anstieg der Inflation geschaffen». Er wähnt sich also an einem Wendepunkt der Inflationsentwicklung und warnt davor, sich an den «Status quo zum Nulltarif» zu gewöhnen. Für die (langfristig orientierte) Finanzplanung heisst das, sich besser am langjährigen Mittel zu orientieren, da eine Normalisierung der Geldpolitik automatisch zu einer höheren Inflation führt.
Auch Zinsprognosen sind praktisch nicht zu gebrauchen, so das harte Urteil des Autors. Die fallenden Zinsen hätten nicht nur zu steigenden Vermögenswerten, ja sogar zu einer gewissen «Währungssubstitution» geführt, so dass die Aktienmärkte mittlerweile eine «nervöse Veranstaltung» seien. Nimmt man die positiven Gewinnwerte der vergangenen Jahrzehnte als Blaupause für die Zukunft, so bestehe die «Gefahr einer Überinterpretation historischer Beobachtungen». Er plädiert dafür, beim Anleger auf ein intuitiv verständliches Risikomass abzustellen: Mit «time under water» ist die Zeitspanne gemeint, bis eine Anlage wieder den früheren Höchstwert erreicht. Die Prognosefehler für Aktienmärkte sind übrigens ähnlich ungenau. Hinzukommt, dass der Zusammenhang zwischen Risiko (mit der Volatilität gemessen) und Rendite abgenommen habe und sich die Sharpe-Ratio in den letzten Jahren halbiert hat. Er wendet sich gegen die «TINA»-Empfehlung nach erhöhter Aktienquote (TINA steht für «there’s no alternative»), weil das Risikomass «time under water» gestiegen und die Annahme einer historisch hohen Aktienrendite zu revidieren sei.
Im Schlussteil seines Buches geht er auf die Beurteilung und Überwachung eines Vermögensverwalters ein. Wellershoff ist der Meinung, die Qualität eines Anbieters sei wichtiger als die Kosten. In dieser Hinsicht sagt die Wissenschaft etwas anderes (was auch er einräumt) – aber schliesslich hat Wellershoff heute auch einen anderen Business-Case!
Insgesamt kann das Plädoyer als gelungen bezeichnet werden, wobei der erste Teil hervorragend, der zweite Teil etwas weniger schlüssig daherkommt. Obwohl im NZZ Libro erschienen, war wohl der Lektor beim Redigieren in Zeitnot. Inhaltlich ist Wellershoff aber ein längst fälliges Statement gelungen. Im Idealfall dient sein Buch als Richtschnur für die Transformation in der Finanzindustrie. Und für Finanzberater bringt sie Einsicht und Reflexion wichtiger Zusammenhänge und befähigen ihn, in Zukunft prognosefrei und evidenzbasiert zu beraten. Empfehlung: Kaufen, Lesen, Umsetzen!
© Reto Spring
Dipl. Finanzplanungsexperte NDS HF, CFP®
Präsident Finanzplaner Verband Schweiz, Zürich
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